Ein Denken über den Tod sollte eine Notwendigkeit im Denkprozess schlechthin darstellen: „Durch den Tod vollzieht sich das eigentliche Leben“, (Beuys).
Der Mensch als Hominide ist aufgrund seiner Leiblichkeit ein vergängliches Wesen, dessen Bewegungen des Lebens aus Geburt, seinen Aktionen und Handlungen, Veränderung durch Krankheit und Alter, sowie, als Ende seiner Kinetik, dem Tod besteht. Wird ein Individuum sich keiner der einzelnen Abschnitte des Lebens bewusst, bleibt es auf der Stufe eines Animal sapiens stehen. Der unreflektierte Tod und das Leiden sind eine beständige Wunde der inneren und/oder äußeren Verletzbarkeit. Sie sind im Modus einer meletè thanatou (Meditation über den Tod) reale, psychisch und manchmal physisch gewaltsame Optionen (z.B. Unfall, Krankheit), den eigenen Körper als Leib, den Geist als Bewusstsein sowie den eigenen Innenraum zu erfahren. Das heisst, das Ich und Selbst zu spüren und zu fühlen.
Eine Mitteilung einer leiblichen Verwundung als (unbewusste) Information nach Außen und zu anderen löst Elemente der Konditionierung, Einschreibung oder temporären Besetzung auf. Das Leiden wird zur individuellen Chance, den Schmerz als das je Persönliche zu registrieren und zu transformieren. Die körperliche Materie des Leibes wie Materie an sich, können als Vergängliches erkannt werden, welche ja den evolutionären Bewegungen unterworfen bleibt: Materie war ursprünglich eine gestaltlose Welle, die über Teilchen das Universum - somit uns - bewegte. Hat das Individuum diese Abstraktion der Evolution verstanden, dass alles Bewegung und Veränderung ist, kann es zu einem bewusst anderen, höheren Leben des Daseins vordringen: „Ohne das Element des Todes [ist] der Mensch nicht imstande, bewußt zu leben"; (Beuys, in Anlehnung an Sokrates).
Der Ausgangspunkt eines meletè thanatou beinhaltet die Notwendigkeit einer Aufmerksamkeit (von sich) sowie die Möglichkeit zur theoretischen Reflexionen. Nach dem Akt der Meditation
(Anschauung) sollte sie von einem praktischen Urteil gefolgt werden: Wird die destruktive, zerstörerische Bewegung des
Todes erkannt, ergibt sich die Optionen zu einem ausbalancierten Leben, welches im besten Fall ein mit der Ökologie und dem Organischen verbundenes ist.
Leben wir Menschen in Freiheit, benötigen wir keine Befreiung durch den Tod. Ist der Tod ein „wesentlich externes, wenn auch biologisch internes Ereignis im menschlichen Dasein, so wird die Lebensbejahung tendenziell zum Letzten und gleichsam unbedingt. Das Leben wird dann zur einzigen Instanz der Versöhnung mit dem Leben.“
Wird aber der Tod nicht als eine Hinnahme des Unvermeidlichen und als ein Teil der lebenden Evolution aller Arten bestimmt, erscheint dies einem Universalphantasma gleich. Er bleibt ein biologisch internes wie zeitgleich ontisches - externes Ereignis: „Ist er willkommen, so muß das Leben noch mühevoller gewesen sein“.
Die Verherrlichung des Todes im Form einer ontologischen Inversion (seinsmäßigen Umkehrung), als höchstes Opfer und Notwendigkeit für die Stabilität einer Nation, bedeutete die Legitimation von struktureller Gewalt! Die Dualität von Körper und Geist unterstützt-e dabei die Opferrolle der Individuen, die, vom Geist geleitet, ihre Körperlichkeit den jeweiligen politischen Systemen hingaben/hingeben. Erkenntnis und Fortschritt einer Wahrheit werden dann interimistisch in ein Jenseits verlegt, welches sich elegant objektiven Definitionen entziehen konnte/kann. Das gleicht einem metaphysischen Universalphantasmas: „Wir haben den Tod desozialisiert, indem wir ihn bio-anthropologischen Gesetzen unterstellten.“ (Baudrillard)
Existiert dazu keine Angst, die auf ein Jenseits verschoben wird, existiert auch keine Furcht vor dem Tod, kein Zurückschrecken vor Gewaltanwendung und keine Einschränkung des Kampfes. Der Tod entschwindet als Belohnung in den metaphysischen Bereich und kann nicht mehr eingegrenzt werden. Ist er einmal als Vorbedingung für Glück und Erlösung institutionalisiert, ergibt sich dessen psychologische und kommerzielle Vermarktung (Freud). Gesellschaftspolitische und ökonomischen Prozesse, die von machtorientierten Souveränen (Global Player/Büro-/Technokraten) dirigiert werden, bedienen sich täglich dieser biopolitisch demographischen Opferbereitschaft: Der Tod als sakrosankte Notwendigkeit bewegt den quantitativen Fortschritt als (deren) geschichtliches Faktum und rechtfertigt so soziale Errungenschaften - welche von der Finanz-/Ökonomie verwertet werden. Er institutionalisiert-e als Factum brutum, im Modus Form einer Rückkehr des Sakralen in das Politische (Sloterdijk), die permanente Wiederkehr des Simulacrum:
Die Transivität des Mensch-Seins wurde so zur Intransivität degradiert, der vollkommenen Trennung von Subjekt und Objekt.
Ist der Tod aber keine ontologische Affirmation einer „Negation des Negativen“, also keine Erlösung eines schattenhaften Lebens, ergeben sich Chancen für eine Autonomie des individuellen Subjekts. Der Mensch ist erst frei, wenn er selbst über den Tod sowie den Zeitpunkt seines Ablebens entscheiden kann: Lebt dazu ein Individuum in der Wahrheit, benötigt es keine Befreiung durch den Tod. Das wurde durch das Beispiel von Sokrates' freiwilligem Ableben historisch bewiesen.
Viele Tiere haben zwar eine Ahnung von ihrem nahenden Tod, von Gewalt und Folter, sie können sich nolens volens semantisch aber nicht äußern. Somit haben sie kein eigenes gesetztes Recht sowie lobbyistische Institutionen, die ihnen Freiheit und Frieden gewährleisten. Ihr Leben und ihr Tod erscheinen a priori zur Ware degradiert, obgleich es seit 1974 "Fünf Freiheiten für Tiere" gibt: 1) Freiheit von Unbehagen; 2) Hunger und Durst; 3) Angst und Leiden; 4) von Schmerz, Verletzung und Krankheit; 5) Freiheit zum Ausleben normaler Verhaltensweisen.“
Tiere besitzen, wie Feuerbach vor über 160 Jahren diagnostizierte, keine Vorstellung eines Jenseits, des Paradieses
oder einer Wiedergeburt; die Begriffe Gott, Umwelt oder anorganische Natur sind ihnen (heute) immer noch genau so
fremd, trotzdem verfügen sie über eine leibliche Intention von Frieden. Diese bleibt meist subjektiv auf sie selbst (als Art) bezogen, lässt
sich aber unter Zuhilfenahme einer körperlichen Annäherung an den Menschen, im Modus der kognitiven Empathie (de Wall), auf ihn übertragen:
„Wechselseitige Einleibung ist die Basis der Sozialkontakte unter Menschen wie unter Tieren." Dieses regenerative Potential von Tieren wird seit längerem in der Physio-, Behinderten
und psychologischen Therapie als Tiergestützte Therapie angewandt.
Eine Interaktion durch leibliche Kommunikation mit Tieren kann als Basis sowie als unterste Konstante für einen zwischen-menschlichen Frieden dienen; er kann unabhängig von ökonomischer oder politisch-institutioneller Beeinflussung vollzogen werden. Ein Friede für Tiere fördert den inneren Freiraum von Individuen, die infolge ausgeglichen und kommunikativ agieren. Die Freiheit, welche man Tieren gewährt, löst im (repressiv) konditionierten Inneren das materielle, egoistische, gewaltbereite Denken (partiell) auf. Die friedfertigen Elemente durch Interaktion drängen transzendierend nach außen: Der Mensch ist aufgrund seiner Entfremdung von der Natur, seiner Umwelt oder eigenem Selbst, welche eine Suche nach einer Auflösung der inneren Spannungen bewirkt, dem inneren Frieden von Tieren gegenüber im Nachteil. Denn wie Schopenhauer korrekt erkannte, bilden sie mit der Natur eine Einheit: „Zwischen dem Thiere und der Außenwelt steht nichts: zwischen uns und dieser stehn aber immer noch unsere Gedanken über dieselbe, [...] oft sind sie [Gedanken, Anm.] uns unzugänglich." (Schopenhauer)
Der Mensch als Krone der Schöpfung und nicht der Aggression (A. Mitscherlich), müsste als höheres Gattungswesen den hierarchisch niedrigeren Tieren und ihrer biozönosen Habitate gegenüber
eine Verantwortung tragen, die kausal seine eigene betrifft, denn
a) das Individuum steht in einem dialogischen Informationsaustausch mit der gesamten Umwelt, die durch Inbalance des ökologischen Gleichgewichts rückwirkend zu psychophysischen Einschränkungen
führt, z.B. Aids (durch Affen übertragen); Autismus (Quecksilbervergiftung von Fischen), ADHS, bipolare Störung, Burn Out (Einschränkung des Lebensraums).
b) Tiere verkörpern eine lebende Zukunft und Leben an sich (Anima), das bedeutet, das Subjekt Mensch könnte durch eine souveräne Rücksicht das eigene Lebendige, also das Wesen
beschützen;
c) Diese Verantwortung, als Kompetenz des Handelns, wird von Politikern (Bürokraten), Finanzökonomen (Technokraten) und Wissenschaftlern vielfach vergessen. Ihnen ist nicht bewusst ist, dass ihre
Ratio aus der Erkenntnis des Verstandes resultiert, welche über das Animalische (und Leibliche) entwickelt wurde und so in der Evolution verhaftet bleibt.
Tiere wie Menschen sind biologisch und genetisch als Gattung prädeterminiert, was sich seit der Entstehung von Lebewesen in den Trieb- und Seelenleben autodynamisch, aber auf verschiedenen Ebenen, wiederholt. Schopenhauer postulierte in Anlehnung an Hinduismus und Buddhismus einen gemeinsamen Willen zum Leben: Alle Säugetiere besitzen ein Begehren nach Liebe und Zärtlichkeit, eine triebhaft unbewusste Suche nach Partnerschaft, das Verlangen nach Freiheit und (individuellem) Frieden. Diese psychisch-animalischen Eigenschaften, neben den 99% physischen Parallelen, zeichnen uns - wie Tiere - als organische Spezies aus.
Im Vertrag von Lissabon, Artikel 13, ist das Tierrecht geregelt, was aber
in keinem realen Verhältnis zur aktuellen Massen-Tierhaltung steht: Es wird von fast keiner Nation eingehalten. Betrachtet man den Aspekt von Sodomie, die in manchen Staaten, wie z.B.
Niederlanden toleriert wird, erscheint das Gesetz ad praeceptum äußerst konträr, denn „die Union und die
Mitgliedstaaten tragen den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere als fühlende Wesen in vollem Umfang Rechnung.“
Der Tod impliziert nicht nur den physischen Prozess eines Wandel durch Ab-Sterben, sondern, abgesehen von diversen Methoden und Formen eines menschlichen oder unmenschlichen Ablebens, auch eine Weite (Sterben-lernen) und Verantwortung gegenüber der Gattung, Flora und Fauna, Klima wie Planeten. Die Entscheidung des Lebens verlangt dem handelnden Individuum somit ein Urteil zu treffen ab, das es am Ende der dianoetischen Bewegung zweifellos vor die Wahl stellt: Entweder als aufrechter Mensch und Gattung weiterzuleben, was ein Wie und ein Wo bedeutet, welches die Frage nach den zivilisatorischen Bedingungen fordert. Oder das Subjekt gibt sich den primären Begierden nach dinglichen Leidenschaften und Hedonie, den Begehren nach Ruhm, Macht und Herrschaft, welche die materielle Zerstörung bedingen, hin. Diese Verantwortung hängt vom Menschen selbst und einer sich entfremdenden Entwicklung ab, was selbst Nietzsche monierte: “Wenn die Menschheit nicht an einer Leidenschaft zugrunde geht, so wird sie an ihrer Schwäche zugrunde gehen. Was will man lieber? Wollen wir für sie ein Ende im Feuer und Licht oder im Sande?"
Viele Menschen - speziell in Kriegsgebieten oder Betroffene von Terrorismus - durchlaufen bestimmte Phasen der Berührung durch den Tod. Dieser Kontakt durch ein Töten erzeugt eine Spur im Bewusstsein, die sich tief in das Unbewusste und die Seele eingräbt. Diese, infolge einer Interaktion des Todes versus das Leben erzeugte Wunde, kann zwar zugedeckt, gelindert und langsam geheilt werden, aber der innewohnende multimodale Sinneseindruck durch die unsichtbare Berührung des Todes bleibt bestehen. Dieses Gedächtnis kann nicht gelöscht werden - der Tod markierte die Seele!
Die Berührung und das Element des Todes sind eine empirische Wirklichkeit des Seienden: Alle organischen Wesen sind sterblich. Er ist eine definitive Grenze, die nicht überschritten werden kann. Der Tod bleibt der Maßstab für organische Begrenzung. Das Positive an ihm ist, dass er nicht korrumpierbar ist. Er kann von keinem Herrschaftssystem, noch einer Revolution überwunden werden. Existiert eine leibliche Opferbereitschaft (von Subjekten), gibt es keine ideologische Rettung durch materielle Revolutionäre (Beuys) und/oder kapitalistische Führer. Sie können ihn nicht transformieren, er wird eher als mathematisches Kalkül qua Opferzahlen in ihre strategischen Interessen integriert. Die Übertragungsdynamik und Rückwirkung materiell orientierter Gewalt während Revolutionen und Konterrevolutionen wurde treffend von H. Marcuse analysiert: Dieser Circulus vitiosus kann nur über eine qualitative Modifikation des Logos der Vernunft hin zu einem Logos der tiefen Ratio, des Eros oder der menschlichen Wärme - bei vorherrschender permanenter Konterrevolution - gestoppt werden.
Ein notwendiges Nachdenken über den Tod (als definitive Grenze) ermöglicht im gleichen Atemzug, den nicht sichtbaren Vorgang einer biologisch bedingten, vergänglichen Veränderung zu diagnostizieren. Als notwendige Erkenntnis sollte sie zum erotischen Logos der tiefen Ratio und "Erkenne Dich selbst" apperzipiert (dem Bewusstsein hinzugefügt) werden. Im Modus der unbewussten Kommunikation zwischen Lebendigem (der Seele) und Tödlichem (Gewalt, Ausbeutung) hilft sie dem Individuum, sich für das Leben und nicht für Thanatos als das Autoaggressive zu entscheiden. Sie bietet somit eine Möglichkeit zum Abbau der Tod-bringenden Bewegung und der Demontage anerzogener Interaktionen eines sozialen ‚Nolimetangere‘: „Diese gesellschaftliche Abwesenheit des Todes ist mit der gesellschaftlichen Abwesenheit des Lebens identisch.“ (Debord). Das beinhaltet die Kultur, Ökonomie und institutionelle Repräsentanz im Öffentlichen gleichermaßen.
Die vorherrschende finanzökonomische, neoliberale Wirtschaftsstruktur des permanenten Wachstums, der Effizienz und des Besten durch ein Höher, Weiter, Schneller, erscheint demgemäß als qualitatives, überbeschleunigtes Rasen in den Tod. Angesichts ihrer unkontrollierten Ressourcenausbeutung der Erde wie der Spezies, zwischen Fastfood, Speeddating und Drive-Thru-Funerals (Rosa), wären aber alle von einem Kollaps des Lebens leiblich betroffen, was sich negativ für alle künftigen Generationen auswirken würde.
Viele Denker können und konnten sich, in Anbetracht der kommenden (thanatoischen) Modifikation nur eine ökologisch determinierte Zukunft vorstellen, in der ein ästhetisch selbstbestimmender Mensch bzw. das rebellische Subjekt, als erotisch autonomes Individuum, im Zentrum der Verantwortung stehen. Diese Gemeinschaft handelt im Modus einer ökologisch-ökotrophen Kultur nach dem Prinzip des längerfristigen Denkens, durch gesunden Menschenverstand und eine tiefe Ratio: „Vielleicht teilen sich die Menschen der Zukunft einmal und gehen in zweierlei Richtungen: Ein Teil entscheidet sich, den Weg der Seele zu gehen, der andere den materialistischen." (Beuys)
Hypothese: Entscheidet sich ein Teil der Menschheit, dank ihrer ökologisch-ökotrophen Wahrnehmung zu Nachhaltigkeit als gestaltende Weltsicht, folgt sie dem Weg des Herzens, der tiefen Ratio, autonomen Seele und dem ästhetisch-erotischen Logos. Sie realisiert ihr erkennendes Selbst als Teil der Verantwortung gegenüber einer bioökologischen Umwelt, das auf einem durch vier Dimensionen begrenzten Planeten der einzige Überlebensfaktor bleibt. Der andere Teil der Hominiden wird weiterhin versuchen, die Erde mit den vorhandenen Ressourcen und sich selbst als Spezies auszubeuten, um durch Freizeit als Freiheit (Beuys) in den Untergang zu reisen.
Texte: Dr. Michael Busse
© Photos M. Busse
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