In Platons Gastmahl erläuterte Sokrates vor zweieinhalbtausend Jahren die zentralen Bewegungen vollkommener Liebe, die konträr zur hedonistisch sexuellen Oberhoheit andere an ihrer Erkenntnis teilhaben lassen: „Die Weisheit gehört ja zum Allerschönsten.“
Das Telos von Eros‘ sinnlichem Kosmos lag in der Zeugung des Schönen und dessen Unsterblichkeit: Im Sterblichen ist der Trieb zur Unsterblichkeit biologisch in seiner Arterhaltung, was sich in Form von Existenzerhaltung und Existenzentfaltung verdeutlicht, angelegt. Metaphysisch in seiner Möglichkeit zur geistig-spirituellen Vollendung entsprechend dieser Erfahrung des Lebendigen mithilfe der angeborenen (utopisch-phantasievollen) Kreativität: Das Streben des Einzelnen zum Allgemeinen als Repräsentation der eigenen Art im Individuum sowie, vom Allgemeinen zum Besonderen als die Erhebung des Einzelnen zum Allgemeinen, wurde in diesem Kontext als höchste Stufe erachtet.
Eroslehre: Als Lehre des Phänomens des Schönen verwirklicht sie sich (in fünf Stufen) vom körperlichen zum geistigen und metaphysischen:
1) leibliche Zeugung:
Schönheit der Seele als Form des Körpers;
2) Schönheit der sittlichen Handlungen: Eros der
sittlichen Handlungen sind die Taten der Tugend;
3) Hervorbringung unsterblicher Werke: Der Künstler
macht ein Kunstwerk unsterblich;
4) Das Schöne im Staat: Ein Dienst von Besonnenheit und Gerechtigkeit zeugt das Schöne im Staat;
5) Schau der Idee des Schönen selbst: Die Erkenntnis des Inneren der ´Idee`; das bedeutet die Erkenntnis des „Denkens der Bewegung“, als Zeugung
des Schönen.
Lebenskunst demonstriert den Lebensausdruck einer Selbstbestimmung eines Individuums durch Selbsterziehung. Sie vollendet sich im Streben nach Freiheit und Frieden.
Ihre menschlich-sozialen Beziehungen werden aus einer inneren Freiheit gestaltet, die das Begehren nach positivem Frieden in sich trägt: „die Verbindung des Begehrens zur Wirklichkeit besitzt eine revolutionäre Kraft.“ (Schiller)
Sind wir als Menschen von äußerer bestimmender und konditionierender Über-Ich Beeinflussung frei (vom Über-Uns) und willentlich autonom, kann sich diese ästhetisierende Freiheit nur in einer friedfertigen Selbstverwirklichung äußern. Sie erkennt, dank ihrer kontemplativen Selbst-Befriedigung, keine Notwendigkeit zu gewalttätigen oder aggressiven Handlungsabläufen mehr. Ihr Streben ist das zur innerlichen, positiven Glückserfüllung (Freud).
Lebenskunst bedeutet die Kunst der Lebensgestaltung, die mit Hilfe unserer künstlerischen Phantasie versucht in das soziale Leben einzugreifen um es (ökologisch) nachhaltig zu gestalten. Das Individuum integriert sich mit seinem sozialen Bewusstsein intentional (gefühlsmäßig alleine oder gemeinsam) in einen ästhetischen Prozess um diesen praktisch zu transzendieren. Das bedingt die gleichzeitige Öffnung der eigenen Gefühle, Charaktereigenschaften und/oder Wissen, in Form eines Dialogs oder dem Austausch mit dem/den Anderen. Diese Öffnung, welche im Moment der Berührung die Differenz erzeugt (Foucault), ist die affirmative Zustimmung zum Transintelligiblen. Das heißt eine Bejahung zum Unbekannten 'jenseits' des menschlichen Verstandes.
Ästhetik als sinnliche Anschauung intendiert in Form eines phantasiegeladenen Spiels zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit, den Menschen in der Idee mit dem Menschen in der Zeit als solidarische Gemeinschaft zu einen. Das wäre die Kunst von Leben - in einer über Finanzökonomie bestimmten Welt.
Lebenskunst, in Kombination mit einer Lebensqualität des erotischen Logos, der Schönheit des Spiels und der tiefen Ratio fördert nicht nur humanistische und ethische Ideale der erweiterten Selbstsorge Epimeleia, sondern hält seinen Augenmerk auf das Summum bonum des Allgemeinwohls gerichtet. Sie bezieht dank einer Glückseligkeit die anderen mit ein, welche sich durch positive Freiheit und allgemeinen Frieden identifizieren. Lebenskunst ist ergo angewandte Ethik. Ihre Prämisse bleibt, als Widerstand gegen das Diktat der Abhängigkeit von Materie, die Freiheit des inneren als äußerem Leben: „Wer sich über die Wirklichkeit nicht hinauswagt, der wird nie die Wahrheit erobern." (Schiller)
Ein Zurücksetzen von äußeren Freiheiten auf innere, kraft einer politischen oder ökonomisch vereinnehmenden Macht, bewirkt eine leibliche Einflussnahme mit sozialpsychologischer Konditionierung der Individuen. Diese psychosomatische Nötigung positioniert die Begierde, als humanes Begehren eines Anderen, vor das eigene Selbst: Das Subjekt wird durch Herrschaft gelebt! Das erzeugt, aufgrund der psychologischen Differenz ein Manko, welches einen ökonomisch wie politisch determinierten 'Circulus vitiousus' in Gang setzt (ein vorgezeichneter Teufelskreislauf). Der temporäre Vorteil mittels einer Machtausübung gegenüber anderen wird gleichzeitig zum prägenden Nachteil des eigenen Geistes, den strukturellen Werten des Sozialen und der solidarischen Gemeinschaft. Das in so einer Welt seiende Ich ist in einer imaginären Welt des globalen Leistungsprinzips existent, die sich aus der ökonomisch-monetären Anschauung Weniger vereint: Global Player, Think Tanks, Lobbyismus, Netzwerke. Deren Führer kompensieren ihren seelisch qualitativen Nachteil mit quantitativer Suppression des Sozialdarwinismus, welcher durch technologische Entfremdung wirkt. M. Foucault trat diesem, sich selbst generierenden inneren Faschismus früh und radikal entgegen: „Verliebe dich nicht in die Macht.“
Die erste praktische Philosophie bezieht sich nicht auf die äußere menschliche Gestalt als Erscheinung vor dem Spiegel. Sondern, wie Sokrates lehrte, ist sie auf das innere und natürlichste des Menschseins bezogen: die Seele.
Die Philosophiegeschichte vertrat diesbezüglich einen fehlerhaften Ansatz, indem sie sich „auf den Menschen als erkennendes Wesen, auf Erkenntnis im abstrakten Sinne bezogen“ hat (Naess). Erkennen als Imperativ (Befehl, Aufforderung) kann aber nur auf das Eigene bezogen werden: Körper, Sprache und Geist. Es kann auch nicht auf eine der drei Eigenschaften reduziert werden, denn der Mensch ist eine biologisch-leibliche Einheit.
Unsere sinnliche Vernunft ist eine sensuelle erotische Anschauung, die in der psychischen wie seelischen Struktur eine Beziehung hervorruft. Sie äußert sich in der intentionalen Lebenskunst als mitmenschliche, nicht produktlibidinös konditionierte Sinnlichkeit, indem sie das Empfindende wie das Seelische als Vernunftmäßiges akzeptiert: „Die Vernunft wird zu einer Stimme, die aus der menschlichen Natur kommt." (Naess) Diese Stimme der menschlichen Natur differenziert zwischen den subjektiven Empfindungen, dem Spüren und einem Gefühl: Sie ist an das seelische der Ratio, als Stimme der tiefen Vernunft (Naess), gekoppelt. Je deutlicher die erotische Psyche ethisch und ästhetisch gebildet ist, desto stärker stehen Gefühle und Vernunft im Einklang.
Das bedeutet, dass die sensuelle Einsicht zu einer vernunftmäßigen Erkenntnis leitet. Die Wechselwirkung zwischen dem Empfindenden (Gefühl) und einer natürlichen, praktischen Vernunft, löst einen bewussten wie unbewusst reflexiven Akt der Kontemplation aus. In diesem verschmelzen die spürenden Gefühle, als das Leibliche sowie die neue Vernunft zu einer Einheit des Ichs: dem eigenen Selbst. Es bestimmt autonom oder antiautoritär die eigene Ratio. Dieser Akt des vernunftmäßigen Erwachens zum Menschsein ist das unabhängige Fundament des Selbst – bzw. unser notwendiger, subjektive Faktor. Die Methode zum Erlangen wird über diese einfache philosophische Erkenntnis gelehrt: „Erkenne dich selbst!“
Es bestätigt dazu den inhärenten, sozial-utopischen Charakter des ästhetischen, nachhaltig orientierten Selbst, das, wie auch Schiller betonte, von den Gefühlen gelenkt wird: „Wenn es die Vernunft ist, die den Menschen zum Menschen macht, so ist es das Gefühl, das ihn leitet.“ ( Schiller)
Eine Unterstützung für das je individuelle Gefühl kann man/frau mithilfe der "Sorge um sich" (epimeleisthai sautou) erreichen, was mehr ein "Achte auf dich selbst" bedeutet. Es wurde von Sokrates als die Notwendigkeit erachtet, sich um die eigene Seele und sein innerliches Seelenwohl zu kümmern. Das leitet in Folge zu einem Wissen über sich selbst, welches nicht durch ein Außen bestimmt werden kann. Der Mensch als Subjekt (der Form wie Formlosigkeit) erfährt dank einer Bechäftigung mit seinem inneren Wesen "einen gewissen Zustand des Glücks, der Reinheit, der Weisheit ..." (Foucault). Wird einer dieser leiblich-wohligen Eigenschaften erreicht, weiß man/frau auch wer man ist .
Ein Selbst der tiefen Ratio ist nicht so leicht korrumpierbar wie ein oberflächliches Ich, welches von ideologischen Systemen, materialistisch ausgerichteten Erkenntnistheorien dinglicher Wirklichkeiten, konditionierenden Reflexionselementen öffentlich verdichtender Medienmeinungen, manipuliert werden kann. Diese Komponenten zur Prägung wirken im Ich gleich einem dynamischen, autoreferentiellen Spiegel der ökonomisch-ideologischen Vernunft, welcher sich geschäftig in die Seelen der Menschen einschreibt. Wird die innere Stimme der Vernunft dazu von außen soziokulturell determiniert und/oder ideologisch geprägt, agiert sie im Innen wie ein repressives Instrument mit leiblicher Bedrohung. Die Symptome können sich in psychosomatischen Krankheiten der Depression, Burn Out, Neurosen oder Psychosen äußern.
Im Aspekt dieses modifizierten Logos der Vernunft (korrumbierbare Weltvernunft) wird die innere Stimme zur instrumentellen Vernunft ohne Eigenwert degradiert, wobei die Fremdbesetzung ihr konditioniertes sozioökonomisches Verhalten definiert. Das äußert sich in einer Notwendigkeit Erfolg zu haben, viel Geld zu besitzen, viele Freunde zu versammeln, etc. In den modernen Wohlstandssystemen wird diese Handlungsweise zum Diktat des gehobenen Lebensstandards erhoben, die lieber psychophysische Krankheiten in Kauf nimmt, als die eigene Lebensqualität zu ermessen. Der Zwang zu Erfolg und seine Umsetzung stresst die Seele, sie wird apathisch oder psychopathisch. Das heisst, dass monetäres, ökonomisches Kapital die menschliche Vernunft dereguliert und determiniert, obwohl „die ratio, die Stimme der tiefen Vernunft, uns etwas anderes sagt [Anm.].“ (Naess)
Die manipulative Ordnung löst ergo - von außen - ostentativ (kraft einer subjektiven Erkenntnis) einen infiniten Regress von unendlichen Wiederholungen - die ewige Wiederkehr - aus. Diese bewegt sich endlos an der Oberfläche eines Mensch-Seins.
Dieser kann über eine "Sorge um sich" als ein "Achte auf dich Selbst" entgegnet werden!
Texte: Dr. Michael Busse
© Photos M. Busse
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